Auch meinem Bruder T. waren aufgrund solcherlei familiärer Psychorituale in der Vergangenheit schon jedwede väterlich-familiäre Angelegenheiten ein Gräuel. Vielleicht auch etwas aus jenen komplexhaft-historischen Gründen dauerte es etwas länger, bis aus seiner dauerhaften Beziehung jüngst vor etwas mehr als einer Dekade ein entzückendes Töchterchen hervorging, das nun auf der Familienzusammenkunft als jüngstes Mitglied naturgemäß die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, was die ältere Generation in unsere Familie schon immer gestört hat, mit meiner Oma väterlicherseits angefangen. Denn diese Aufmerksamkeit vermissen sie um so mehr, je kindischer sie sich selbst benehmen. Derlei tradiertem Muster zufolge prognostiziere ich mir heute schon für betagte Zeiten eine Prügelei mit meinen Enkelkindern. Nun wird gewitzelt, was das Zeug hält und man hüte sich, in Gegenwart meines Vaters einen konventionellen Witz erzählen zu wollen. Von seiner Seite erschallen hundertachtundfünfzig Witze am Stück zurück. Eine Parade altbekannter, allzu alter, harmloser, oft auch dümmlicher Witze auf Sportvereinsniveau, allerdings nie chauvinistisch und absolut jugendfrei. Interessanter Weise auch nie antisemitisch, wie mir viele widerliche Witze von früheren Schulhöfen haarsträubend, „bis zur Vergasung“, wie ich die Hölleisengretl zu einem anderem Thema einmal sagen hörte, bekannt waren. Nein, die seit den fünfziger Jahren ewig wiederkehrenden Witze meines Vaters werden mindestens von mir mit einem starren, verzagten, höflichen Lachlächeln begleitet, in der Hoffnung, man habe das Ende der Witzekette bald hochnotpeinlichst erreicht. Ich stelle mir selbst erklärend dabei vor, dass diese harmlose Humortapete in den fünfziger bis siebziger Jahren die Funktion hatte, dunkelste Kapitel des faschistischen Dritten Reiches, ganz unabhängig von persönlichen Tatbeteiligungen, zu überdecken und sich dieses Überlebensmuster erhalten hat, da sich immer neue, wenn auch ungleich kleinere dunkle Kapitel, z.B. über die eigene Familiengeschichte ergeben, die es mit der ewigen kleinbürgerlichen Rauhfaser in Nebenräumen überzutapezieren gilt, sage aber nichts dazu, lache ein Wenig.
(Fortsetzung folgt sehr wahrscheinlich, bei mehr als einem like, höhöh)
Frida K. und die Gravitation
Nach spassigem Plantschen mit meinem 13-jährigen Sohn im öffentlichen Schwimmbad sitze ich, erleichtert, etwas in Ruhe gelassen zu werden, ohne dass mein Sohn das Gefühl haben müsste, ich habe kein Lust mehr und ohne das ich zugeben muss, ich bräuchte Erholung vom Toben, noch etwas abseits des Beckens und gucke ihm beim Springen zu. Da bemerke ich, sehr wahrscheinlich ob unserer Halbnackheit mir etwas voyeurhaft vorkommend, ein junges, ca. 13-jähriges Mädchen,das an der vorderen Kante des Einmetersprungbrettes wippt – sie wippt prüfend unsicher den Schwerkrafttest auf dem Sprungbrett. Man sieht es ihr im Badeanzug an - es zeichnet sich ein leichtes, zeitgenössisches Übergewicht unter ihrer Haut ab; ein Übergewicht, von dem sie, ganz Unschuld, nichts zu wissen scheint. Es ist abends, nur noch wenige Kinder sind noch da. Das Mädchen versucht scheinbar, beim Wippen die Schwerkraft - eine Kraft, die sie zum Erdmittelpunkt zieht- zu überwinden; dann springt sie - und scheint der Erdanziehung allzu rasch nachgeben zu müssen. Im Wasser angekommen, wird ihr Körper sofort zu verdrängender Masse, das Wasser scheint die Trägheit der Masse aufzunehmen, um es ihr als Echo schwappend zurückzugeben. Eben vermeinte sie noch, der Leichtigkeit entgegen zu springen; auf ihrem aus dem Wasser aufgetauchten Gesicht entdecke ich Enttäuschung über das jähe Ende des Sprunges, bestätigt durch die etwas übertrieben rasche Rückkehr auf das Sprungbrett. Ein weiteres Mal wippt sie vorn an der Kante, unverdrossen aber ernst, ja freudlos – dann hält sie inne, geht zurück zum Anfang des Sprungbrettes, dreht sich um und nimmt Anlauf. Sie schafft es, nach federndem Absprung eine leichte Aufwärtskurve zu beschreiben, sie scheint für einen kurzen Moment zu schweben und landet danach unbeschwert im Wasser. Ihre Schwimmzüge, die sie an den Beckenrand bringen, drücken Zufriedenheit aus. Sie wiederholt den Vorgang soldatisch, hartnäckig und sehr ernsthaft, um den Erfolg zu manifestieren. Sie lässt dabei nichts kindlich-spielerisches erkennen, als ginge es darum, eine Aufgabe technisch abzuarbeiten oder mehr noch, als ginge es darum, erwachsen zu werden. Ihre soldatischen Sprünge lassen sie pfeilgerade nach unten ins tiefe Wasser schiessen, ihre Arme sind dabei stramm gerade an den Körper gelegt. Andere Kinder springen vor und nach ihr auch von dem Brett, sie scheint mit ihrer Ernsthaftigkeit aber ein völlig anderes Ziel zu verfolgen als diese. Da bemerke ich, gelenkt durch einen Seitenblick des Kindes, eine Frau in einiger Entfernung am Beckenrand stehen, deren Physiognomie eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Künstlerin Frida Kahlo aufweist- strenges Gesicht mit bronzenem Teint, dicht zusammen stehende Augenbrauen,straffer dunkler Zopf nach hinten gebunden. Sie scheint Milde ausdrücken zu wollen, schafft es aber gerade eben, ihrer Tochter einigermassen unbeteiligt, ja fast emotionslos zuzusehen. Ihre Macht, die sich vom Beckenrand über das Wasser auf ihre Tochter ausdehnt, wird mit einem Mal erschreckend sichtbar. Es ist, als habe sie ihre Tochter heimlich ferngesteuert. Ein prüfender, dunkler Zehntelsekundenblick wird auf mich abgeschossen und erlischt. Ich gucke dankbar erleichtert zu meinem scherzend blödelndem Sohne hinüber, der nichtsahnend mich angrinsend ins Wasser springt.
nicht zu wissen, wer man ist flüchtig sein in Rollen springen vorgeblich aus Vergnügen, Lebenslust in Wahrheit aber Flucht vor der Tiefe der geerdeten Gefühle die Dir zeigen : DAS bist Du DAS kannst Du sein und wenn Du SO weitermachst wirst Du DIESES oder JENES erreichen oder eben nicht erreichen. Versagensangst, Kontrollverlustangst man vermeidet zu wissen wer man ist man will nicht wissen wer man ist
ich will nicht wissen wer ich bin
2001: A Space Odyssey / on polaroids
-Multimillionendollaruntergrundfilm- 1968
COMPUTERFUNKTION GESTÖRT
konservierter abfall, zum 2D-recycling durch konservative kräfte freigegeben
Gruss an die Bürgerlichkeit zum 1.Mai ! Your Servant...Eure Hochwohlgeborene Durchlaucht Perlen vor die Säue
- oder: vor Weihnachten rechtzeitig den Liebestermin(BILD) stornieren - Meine Gattin und ich haben genügend Kinder, dass wir uns Weihnachten selbst genug wären. Aus Sicht meiner Verwandten mutmaßlich zu viele, nämlich sechs, meistens aber eher nur fünf, um uns einladen zu wollen können.
„Nein nein“ rufen Vater und Bruder, „Doch doch“, rufe ich zurück.
Obwohl ich dazu anmerken möchte, dass es ihnen nach meiner Kenntnis nicht an Mitteln mangelte, uns einzuladen. Eher wäre nach meinem Dafürhalten die Bequemlichkeit hierfür verantwortlich, eine der Wohlstandsverwahrlosung vorgeordnete bürgerliche Disziplin, die doch in so manch angekommenen Kreisen die Liebe bzw. die Mitmenschlichkeit als protestantisch-soziologischen Imperativ abgelöst hat.
Das traditionelle, auf meinen Wunsch nach der Idee meiner Frau auf den vierten Advent vorverlegte weihnachtliche Treffen mit meinem Vater, seiner Frau und meinem Bruder nebst Lebensgefährtin und Töchterchen plus uns reduzierte fünf Personen, da sich unser Ältester in Köln von solchen wenig er- und einträglichen Verpflichtungen freizuhalten weiß, wobei ich das „frei“ betonen möchte, findet, hart erkommuniziert, bei meinem Vater statt, denn wir haben schon genug an den Geburtstagen aufzutischen, was wir dann auch gern und reichlich vier bis sechs Mal im Jahr tun.
Für unvermeidbare Gastgeberrituale haben mein Vater, als ehemaliger selbständiger Küchenfachverkäufer und seine H., Küchenspezialistin und Haushaltungsdrachen vorderster Couleur, einen besonders kleinen 2-Personenbackofen in ihrer Siematic-Einbauküche, damit nichts zu aufwendig großes, z.B. ein Braten, Einzug in das Speiseangebot bei verpflichtenden Einladungen halten kann.
So antwortet man auf Nachfrage bei seltenster Gelegenheit im Hause meines Vaters zur Geschmacklichkeit des am Tisch raren Roastbeefs natürlich und höflichst beteuernd mit „gutgut“, worauf mein Vater dann erwidert, das habe H. bei Penny gekauft, natürlich fertig zubereitet und vorgeschnitten, als „Delikatess“- Sortierung im Sondersortiment, „Is´doch doll, ODER?“. Gottseidank gab es bei Penny wohl noch keine Delikatessfertigbratkartoffeln, obwohl dann wenigstens etwas mehr davon dagewesen wären. Aber, wie mein Vater seit Jahrzehnten jährlich drei bis vier Mal, so sicher wie das Amen in der Kirche , grinsend zu sagen pflegt „Esst ruhig, im Keller ist noch mehr !“. Mit diesem mittlerer Weile zu oft bei uns als running-gag gebrauchtem Zitat provozieren meine Kinder bei mir gern Ausschlag, Ekel und schamhaft unterdrückten Ärger und stellen meine Toleranz auf eine harte Probe, denn mit diesem in unserem Haushalt einzigen Tabu-Satz, laut meinem kellerlosen Vater ein familienhistorischer Ausspruch meines gleichfalls kellerlosen Großvaters mütterlicherseits(den ich aber nie aus dessem Mund vernommen hatte), pflegt mein Vater den deutlichen Mangel an Quantität, der symbolisch für geizhaft mangelnde deutsche Gastgeberqualitäten steht, in seinem Haushalt gemeinsam mit der dazugehörigen, im Zweifel schuldigen Hölleisengretl zu übertünchen, bevor´s im weichen Wessie-Patriarchat alles hübsch mit Kunstseide tapeziert wird.
So sind denn die kulinarischen Erwartungen bei Einladungen meines Vaters recht klein gehalten, wenn es zu einer Einladung in den väterlichen Haushalt geht. Wenigstens bekommt man 2 Sorten Tee aus Puppentassen, wobei auch hier die Dürftigkeit die bemühte Vornehmheit penetriert, sollte man sich zum Beispiel entschließen wollen, die Sorte zu wechseln.
(Fortsetzung folgt...)